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Analyse: Russlands aktualisierte Nukleardoktrin

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Am 19. November unterzeichnete der russische Präsident W. Putin die aktualisierte Nukleardoktrin mit dem Titel „GRUNDLAGEN der staatlichen Politik der Russischen Föderation zur Nuklearen Abschreckung“ – nur vier Jahre nach der letzten Aktualisierung im Jahr 2020. Der Zeitpunkt der Unterzeichnung fiel zusammen mit dem ersten Angriff der Ukraine auf Russland mit US-amerikanischen ATACMS-Raketen. Beide Aktualisierungsschritte sind ein deutlicher Gradmesser für die Verschlechterung, ja geradezu Eskalation zwischen dem Westen und Russland angesichts der beiden Kriege – des russisch-ukrainischen Krieges im Kontext des übergeordneten Weltordnungskrieges – sowie damit einhergehend der Erosion der Rüstungskontrollabkommen auch im Nuklearwaffenbereich. Von Alexander Neu.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

In der Fassung von 2020 mit dem gleichlautenden Titel „GRUNDLAGEN der staatlichen Politik der Russischen Föderation auf dem Gebiet der nuklearen Abschreckung“ wurden folgende, bereits 2020 verschärfte Konditionen für den Nuklearwaffeneinsatz unter der Kapitelüberschrift „III. Bedingungen für den Übergang der Russischen Föderation zum Nuklearwaffeneinsatz“ definiert:

19. Folgende Bedingungen sind für den möglichen Einsatz der Nuklearwaffen durch die Russische Föderation bestimmend:

a) das Eintreffen von glaubwürdigen Informationen über den Start ballistischer Raketen, die das Territorium der Russischen Föderation und/oder ihrer Verbündeten angreifen;

b) der Einsatz von Nuklearwaffen oder anderer Arten von Massenvernichtungsmitteln durch den Gegner gegen das Territorium der Russischen Föderation und/oder ihrer Verbündeten;

c) die Einwirkung des Gegners auf kritisch wichtige staatliche und militärische Objekte der Russischen Föderation, deren Ausfall zur Vereitelung der Antworthandlungen der Nuklearstreitkräfte führt;

d) eine Aggression gegen die Russische Föderation mit dem Einsatz herkömmlicher Waffen, wenn die staatliche Existenz selbst bedroht wurde.“

Die nun erneute Aktualisierung ergänzt die o.g. Punkte a) bis d) partiell und schafft einen weiteren Punkt:

Zu Punkt b) „der Einsatz von Nuklearwaffen oder anderer Arten von Massenvernichtungsmitteln durch den Gegner gegen das Territorium der Russischen Föderation und/oder ihrer Verbündeten“ wird ergänzt mit: „Streitkräfte oder Einrichtungen außerhalb seines/ihres Staatsgebietes“. Damit sind unzweifelhaft Schiffe sowie militärische Auslandsbasen Russlands wie in Syrien, aber wohl auch in der Ukraine gemeint.

d) eine Aggression gegen die Russische Föderation und/oder Weißrussland mit dem Einsatz herkömmlicher Waffen, wenn die staatliche Existenz selbst bedroht wurde.“ Bei dieser Formulierung wird der russische Nuklearschirm auf Weißrussland ausgedehnt.

Ganz neu ist Punkt e) verifizierte Informationen, die auf einen bedeutenden Angriff feindlicher Luft- und Raumfahrtressourcen hinweisen, der die Staatsgrenzen der Russischen Föderation durchbricht“

Punkt e) trägt der derzeitigen massiven technischen und technologischen Revolution hinsichtlich neuer Waffensysteme im Luft- und Weltraum Rechnung. Hierzu zählen ganz zweifelsfrei Hyperschallraketen, Laserwaffen und Kampfdrohnen. Die Kampfdrohnentechnologie ist gerade dabei, den Bodenkrieg, bislang zuvörderst ausgeführt mit gepanzerten Waffensystemen (Kampfpanzer, Schützenpanzer, Transportmittel etc.), zu revolutionieren. In der Ukraine nimmt die Relevanz von Kampfpanzern angesichts des Kampfdohneneinsatzes rapide ab. Kampfdrohnen sind also mehr als ein Game Changer. Sie schreiben die Realitäten des Bodenkampfes um.

Nukleare Abschreckung – politische Grundsätze

Neben den militärischen und militärtechnischen Konditionen und Ergänzungen derselben wurde der Bereich der politischen Konditionen (Kapitel: „Wesen der nuklearen Abschreckung“) massiv überarbeitet. Dieses Kapitel konkretisiert und erweitert den Bereich möglicher gegnerischer Akteure. So wird nicht mehr nur von einem „potenziellen Gegner“ gesprochen, sondern von „individuellen Staaten und militärischen Koalitionen“, d.h. Militärblöcke und -allianzen – gemeint ist zuvörderst die NATO –, die über Nuklearwaffen und/oder andere Massenvernichtungswaffen verfügen und die Russland als potenzielle Gegner betrachtet. Ergänzt wird diese Aussage mit dem Hinweis, die nukleare Abschreckung richte sich auch gegen Staaten, die das von ihnen „kontrollierte Staatsgebiet, den Luftraum und den maritimen Raum sowie die Ressourcen für die Vorbereitung und Ausführung eines Angriffs gegen die Russische Föderation“ bereitstellen. Diese Ergänzung zielt insbesondere auf die Ukraine sowie andere Staaten des postsowjetischen Raumes ab. In den Punkten 10. und 11. heißt es konkret:

10. Eine Aggression eines Staates, der Teil einer Militärkoalition (eines Blocks, einer Allianz) gegen die Russische Föderation und/oder ihre Verbündeten ist, wird als Aggression der gesamten Koalition (des Blocks/der Allianz) angesehen.“

Mit dieser Festlegung will Moskau nicht mehr zwischen NATO-Mitgliedsstaaten unterscheiden, sondern betrachtet die NATO insgesamt als verantwortlich für den Fall, dass ein NATO-Mitgliedsland eine Aggression gegen Russland beginnen könnte. Hintergrund sind hier sicherlich die Spekulationen der Entsendung von Truppen aus ausschließlich europäischen NATO-Mitgliedsstaaten in die Ukraine. Diese könnten in Kampfkontakt mit russischen Truppen in den von Russland annektierten Gebieten geraten.

11. Eine Aggression gegen die Russische Föderation und/oder seine Verbündeten durch einen Nichtnuklearstaat mit der Involvierung oder der Unterstützung durch einen Nuklearstaat wird als ein gemeinsamer Angriff durch sie betrachtet.

Dieser Punkt bezieht sich v.a. auf das Verhältnis Ukraine – USA, wobei hier die bis heute nicht gänzlich abgewehrte Offensive der ukrainischen Streitkräfte in die Region Kursk der russischen Föderation der Aufhänger sein dürfte.

Punkt 15. erweitert den Rahmen von Bedrohungen, die eine aktive nukleare Abschreckung mit sich zögen:

Darin heißt es:

„Die wichtigsten militärischen Gefahren, welche eskalieren können zu einer Bedrohung gegen die Russische Föderation und eine Neutralisierung durch die nukleare Abschreckung erforderlich machen, beinhalten:

a) den Besitz von Atomwaffen und/oder anderen Massenvernichtungswaffen durch den potenziellen Gegner, die gegen die Russische Föderation und/oder ihre Verbündeten eingesetzt werden könnten, sowie die Trägersysteme für diese Waffentypen“

b) die Präsenz und Stationierung von Raketenabwehrsystemen, Marschflugkörpern mittlerer und kurzer Reichweite sowie ballistischen Raketen, hochpräzisen nichtnuklearen und Hyperschallwaffen, unbemannten Angriffsplattformen und Energiewaffen durch potenzielle Gegner, die potenziell gegen die Russische Föderation eingesetzt werden können“.

Mit Punkt b) trägt die russische Seite einerseits den neueren technologischen Entwicklungen in der Rüstung und andererseits der Stationierung dieser Waffen in Reichweite des russischen Territoriums Rechnung.

c) der Aufbau konventioneller Streitkräfte des Feindes in der Nähe der Grenzen der Russischen Föderation oder in angrenzenden Seegebieten, einschließlich der Mittel zum Transport von Atomwaffen und/oder der militärischen Infrastruktur, die deren Einsatz ermöglicht

Punkt c) konturiert ein weiteres Mal die Ablehnung auch von konventionellen Streitkräften und militärischer Infrastruktur nahe den russischen Grenzen. Dieser Punkt wurde auch in den Reden Putins zur Begründung der russischen Invasion in der Ukraine im Februar 2022 primär genannt.

d) die Entwicklung und Stationierung weltraumgestützter Raketenabwehrsysteme, Antisatellitenwaffen und Angriffssysteme durch Gegner

Punkt d) thematisiert die Militarisierung des Weltraums als Gefahr für Russland.

e) die Stationierung von Atomwaffen und ihren Trägersystemen in Nicht-Atomstaaten

Punkt e) problematisiert ein eigentlich altes Problem, dass der technisch-nuklearen Teilhabe: Offizielle Nicht-Nuklearstaaten beherbergen auf ihrem Territorium Nuklearwaffen. Schlussendlich besitzen sie in der Endphase der Befehlsketten auch ein gewisses Maß an Verfügungsgewalt, zumindest, wenn sie die Trägersysteme stellen (z.B. Transport der Nuklearbomben durch eigene atomwaffenfähige Kampfbomber in das Zielgebiet).

f) die Bildung neuer oder die Ausweitung bestehender militärischer Koalitionen (Blöcke, Allianzen), die dazu führen, dass sich ihre militärische Infrastruktur den Grenzen der Russischen Föderation nähert.

Hier geht es um die NATO-Osterweiterung, die, da sich die NATO nach Osten erweitert hat und dies auch weiterhin zu tun gedenkt (Zusagen der Aufnahme der Ukraine in die NATO), sich logischerweise den russischen Grenzen annähert oder bereits mit den russischen Grenzen in Kontakt steht (Baltikum, Norwegen und Finnland)

g) Maßnahmen, die Teile des Territoriums der Russischen Föderation isolieren, wie etwa die Blockierung kritischer Infrastruktur-Transportverbindungen“

Die russische Seite hat hier insbesondere die russische Enklave Kaliningrad an der Ostsee sowie vermutlich auch die Krim im Schwarzen Meer im Blick. Beide Regionen wären theoretisch mit massivem militärischem Einsatz von Russland isolierbar: Kaliningrad durch eine effektive Sperrung der Ostseezugangs und die Krim durch die Rückeroberung der Landbrücke sowie die Zerstörung der Verbindungsbrücke zum russischen Festland.

Abschließend lassen sich drei Feststellungen treffen

Erstens: Die Absenkung der Schwelle zum Einsatz von Nuklearwaffen ist deutlich erkennbar. Die Konkretisierungen und Ausweitungen des Raumes und der potenziellen feindlichen Akteure sowie der in den Augen Russlands benannten Gefahrenpotentiale sprechen eine eindeutige Sprache.

Zweitens: Die häufigen Verweise zu den russischen Grenzen hebt die besondere sicherheitspolitische Komponente hervor – Russland will keine andere Großmacht oder deren Alliierte an seinen Grenzen oder nahe den Grenzen akzeptieren (Cuba-Krise-1962-Argumentation). Dieses Sicherheitsinteresse Moskaus, ob legitim oder nicht, spielte auch bei dem Aufbau des damaligen Militärbündnisses Warschauer Pakt eine wesentliche Rolle. Ungeachtet der ideologischen Konfrontation ging es Moskau primär nicht um die Expansion ideologischer Einflussräume, sondern um die Schaffung einer strategischen Tiefe – entweder durch eigene Verbündete oder Pufferstaaten.

Drittens: Inwieweit diese politischen Grundsätze sich lediglich auf den Verbündeten Weißrussland beschränken oder auch Nordkorea angesichts der jüngsten Annäherungen, ja sogar China und den Iran umfassen, bleibt offen. Denn es wird nicht nur von Weißrussland gesprochen, sondern im Plural von russischen Verbündeten. Diese Unbestimmtheit ist gewollt, mithin kein Zufall.

Jedenfalls lässt sich westlicherseits feststellen, dass trotz der aktualisierten Nukleardoktrin Moskaus, die ein Warnsignal darstellen soll, nun westliche Raketen unterschiedlicher Reichweite nach Russland fliegen – Ergebnis offen.

Titelbild: Shutterstock / doomu

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Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

In der Fassung von 2020 mit dem gleichlautenden Titel „GRUNDLAGEN der staatlichen Politik der Russischen Föderation auf dem Gebiet der nuklearen Abschreckung“ wurden folgende, bereits 2020 verschärfte Konditionen für den Nuklearwaffeneinsatz unter der Kapitelüberschrift „III. Bedingungen für den Übergang der Russischen Föderation zum Nuklearwaffeneinsatz“ definiert:

19. Folgende Bedingungen sind für den möglichen Einsatz der Nuklearwaffen durch die Russische Föderation bestimmend:

a) das Eintreffen von glaubwürdigen Informationen über den Start ballistischer Raketen, die das Territorium der Russischen Föderation und/oder ihrer Verbündeten angreifen;

b) der Einsatz von Nuklearwaffen oder anderer Arten von Massenvernichtungsmitteln durch den Gegner gegen das Territorium der Russischen Föderation und/oder ihrer Verbündeten;

c) die Einwirkung des Gegners auf kritisch wichtige staatliche und militärische Objekte der Russischen Föderation, deren Ausfall zur Vereitelung der Antworthandlungen der Nuklearstreitkräfte führt;

d) eine Aggression gegen die Russische Föderation mit dem Einsatz herkömmlicher Waffen, wenn die staatliche Existenz selbst bedroht wurde.“

Die nun erneute Aktualisierung ergänzt die o.g. Punkte a) bis d) partiell und schafft einen weiteren Punkt:

Zu Punkt b) „der Einsatz von Nuklearwaffen oder anderer Arten von Massenvernichtungsmitteln durch den Gegner gegen das Territorium der Russischen Föderation und/oder ihrer Verbündeten“ wird ergänzt mit: „Streitkräfte oder Einrichtungen außerhalb seines/ihres Staatsgebietes“. Damit sind unzweifelhaft Schiffe sowie militärische Auslandsbasen Russlands wie in Syrien, aber wohl auch in der Ukraine gemeint.

d) eine Aggression gegen die Russische Föderation und/oder Weißrussland mit dem Einsatz herkömmlicher Waffen, wenn die staatliche Existenz selbst bedroht wurde.“ Bei dieser Formulierung wird der russische Nuklearschirm auf Weißrussland ausgedehnt.

Ganz neu ist Punkt e) verifizierte Informationen, die auf einen bedeutenden Angriff feindlicher Luft- und Raumfahrtressourcen hinweisen, der die Staatsgrenzen der Russischen Föderation durchbricht“

Punkt e) trägt der derzeitigen massiven technischen und technologischen Revolution hinsichtlich neuer Waffensysteme im Luft- und Weltraum Rechnung. Hierzu zählen ganz zweifelsfrei Hyperschallraketen, Laserwaffen und Kampfdrohnen. Die Kampfdrohnentechnologie ist gerade dabei, den Bodenkrieg, bislang zuvörderst ausgeführt mit gepanzerten Waffensystemen (Kampfpanzer, Schützenpanzer, Transportmittel etc.), zu revolutionieren. In der Ukraine nimmt die Relevanz von Kampfpanzern angesichts des Kampfdohneneinsatzes rapide ab. Kampfdrohnen sind also mehr als ein Game Changer. Sie schreiben die Realitäten des Bodenkampfes um.

Nukleare Abschreckung – politische Grundsätze

Neben den militärischen und militärtechnischen Konditionen und Ergänzungen derselben wurde der Bereich der politischen Konditionen (Kapitel: „Wesen der nuklearen Abschreckung“) massiv überarbeitet. Dieses Kapitel konkretisiert und erweitert den Bereich möglicher gegnerischer Akteure. So wird nicht mehr nur von einem „potenziellen Gegner“ gesprochen, sondern von „individuellen Staaten und militärischen Koalitionen“, d.h. Militärblöcke und -allianzen – gemeint ist zuvörderst die NATO –, die über Nuklearwaffen und/oder andere Massenvernichtungswaffen verfügen und die Russland als potenzielle Gegner betrachtet. Ergänzt wird diese Aussage mit dem Hinweis, die nukleare Abschreckung richte sich auch gegen Staaten, die das von ihnen „kontrollierte Staatsgebiet, den Luftraum und den maritimen Raum sowie die Ressourcen für die Vorbereitung und Ausführung eines Angriffs gegen die Russische Föderation“ bereitstellen. Diese Ergänzung zielt insbesondere auf die Ukraine sowie andere Staaten des postsowjetischen Raumes ab. In den Punkten 10. und 11. heißt es konkret:

10. Eine Aggression eines Staates, der Teil einer Militärkoalition (eines Blocks, einer Allianz) gegen die Russische Föderation und/oder ihre Verbündeten ist, wird als Aggression der gesamten Koalition (des Blocks/der Allianz) angesehen.“

Mit dieser Festlegung will Moskau nicht mehr zwischen NATO-Mitgliedsstaaten unterscheiden, sondern betrachtet die NATO insgesamt als verantwortlich für den Fall, dass ein NATO-Mitgliedsland eine Aggression gegen Russland beginnen könnte. Hintergrund sind hier sicherlich die Spekulationen der Entsendung von Truppen aus ausschließlich europäischen NATO-Mitgliedsstaaten in die Ukraine. Diese könnten in Kampfkontakt mit russischen Truppen in den von Russland annektierten Gebieten geraten.

11. Eine Aggression gegen die Russische Föderation und/oder seine Verbündeten durch einen Nichtnuklearstaat mit der Involvierung oder der Unterstützung durch einen Nuklearstaat wird als ein gemeinsamer Angriff durch sie betrachtet.

Dieser Punkt bezieht sich v.a. auf das Verhältnis Ukraine – USA, wobei hier die bis heute nicht gänzlich abgewehrte Offensive der ukrainischen Streitkräfte in die Region Kursk der russischen Föderation der Aufhänger sein dürfte.

Punkt 15. erweitert den Rahmen von Bedrohungen, die eine aktive nukleare Abschreckung mit sich zögen:

Darin heißt es:

„Die wichtigsten militärischen Gefahren, welche eskalieren können zu einer Bedrohung gegen die Russische Föderation und eine Neutralisierung durch die nukleare Abschreckung erforderlich machen, beinhalten:

a) den Besitz von Atomwaffen und/oder anderen Massenvernichtungswaffen durch den potenziellen Gegner, die gegen die Russische Föderation und/oder ihre Verbündeten eingesetzt werden könnten, sowie die Trägersysteme für diese Waffentypen“

b) die Präsenz und Stationierung von Raketenabwehrsystemen, Marschflugkörpern mittlerer und kurzer Reichweite sowie ballistischen Raketen, hochpräzisen nichtnuklearen und Hyperschallwaffen, unbemannten Angriffsplattformen und Energiewaffen durch potenzielle Gegner, die potenziell gegen die Russische Föderation eingesetzt werden können“.

Mit Punkt b) trägt die russische Seite einerseits den neueren technologischen Entwicklungen in der Rüstung und andererseits der Stationierung dieser Waffen in Reichweite des russischen Territoriums Rechnung.

c) der Aufbau konventioneller Streitkräfte des Feindes in der Nähe der Grenzen der Russischen Föderation oder in angrenzenden Seegebieten, einschließlich der Mittel zum Transport von Atomwaffen und/oder der militärischen Infrastruktur, die deren Einsatz ermöglicht

Punkt c) konturiert ein weiteres Mal die Ablehnung auch von konventionellen Streitkräften und militärischer Infrastruktur nahe den russischen Grenzen. Dieser Punkt wurde auch in den Reden Putins zur Begründung der russischen Invasion in der Ukraine im Februar 2022 primär genannt.

d) die Entwicklung und Stationierung weltraumgestützter Raketenabwehrsysteme, Antisatellitenwaffen und Angriffssysteme durch Gegner

Punkt d) thematisiert die Militarisierung des Weltraums als Gefahr für Russland.

e) die Stationierung von Atomwaffen und ihren Trägersystemen in Nicht-Atomstaaten

Punkt e) problematisiert ein eigentlich altes Problem, dass der technisch-nuklearen Teilhabe: Offizielle Nicht-Nuklearstaaten beherbergen auf ihrem Territorium Nuklearwaffen. Schlussendlich besitzen sie in der Endphase der Befehlsketten auch ein gewisses Maß an Verfügungsgewalt, zumindest, wenn sie die Trägersysteme stellen (z.B. Transport der Nuklearbomben durch eigene atomwaffenfähige Kampfbomber in das Zielgebiet).

f) die Bildung neuer oder die Ausweitung bestehender militärischer Koalitionen (Blöcke, Allianzen), die dazu führen, dass sich ihre militärische Infrastruktur den Grenzen der Russischen Föderation nähert.

Hier geht es um die NATO-Osterweiterung, die, da sich die NATO nach Osten erweitert hat und dies auch weiterhin zu tun gedenkt (Zusagen der Aufnahme der Ukraine in die NATO), sich logischerweise den russischen Grenzen annähert oder bereits mit den russischen Grenzen in Kontakt steht (Baltikum, Norwegen und Finnland)

g) Maßnahmen, die Teile des Territoriums der Russischen Föderation isolieren, wie etwa die Blockierung kritischer Infrastruktur-Transportverbindungen“

Die russische Seite hat hier insbesondere die russische Enklave Kaliningrad an der Ostsee sowie vermutlich auch die Krim im Schwarzen Meer im Blick. Beide Regionen wären theoretisch mit massivem militärischem Einsatz von Russland isolierbar: Kaliningrad durch eine effektive Sperrung der Ostseezugangs und die Krim durch die Rückeroberung der Landbrücke sowie die Zerstörung der Verbindungsbrücke zum russischen Festland.

Abschließend lassen sich drei Feststellungen treffen

Erstens: Die Absenkung der Schwelle zum Einsatz von Nuklearwaffen ist deutlich erkennbar. Die Konkretisierungen und Ausweitungen des Raumes und der potenziellen feindlichen Akteure sowie der in den Augen Russlands benannten Gefahrenpotentiale sprechen eine eindeutige Sprache.

Zweitens: Die häufigen Verweise zu den russischen Grenzen hebt die besondere sicherheitspolitische Komponente hervor – Russland will keine andere Großmacht oder deren Alliierte an seinen Grenzen oder nahe den Grenzen akzeptieren (Cuba-Krise-1962-Argumentation). Dieses Sicherheitsinteresse Moskaus, ob legitim oder nicht, spielte auch bei dem Aufbau des damaligen Militärbündnisses Warschauer Pakt eine wesentliche Rolle. Ungeachtet der ideologischen Konfrontation ging es Moskau primär nicht um die Expansion ideologischer Einflussräume, sondern um die Schaffung einer strategischen Tiefe – entweder durch eigene Verbündete oder Pufferstaaten.

Drittens: Inwieweit diese politischen Grundsätze sich lediglich auf den Verbündeten Weißrussland beschränken oder auch Nordkorea angesichts der jüngsten Annäherungen, ja sogar China und den Iran umfassen, bleibt offen. Denn es wird nicht nur von Weißrussland gesprochen, sondern im Plural von russischen Verbündeten. Diese Unbestimmtheit ist gewollt, mithin kein Zufall.

Jedenfalls lässt sich westlicherseits feststellen, dass trotz der aktualisierten Nukleardoktrin Moskaus, die ein Warnsignal darstellen soll, nun westliche Raketen unterschiedlicher Reichweite nach Russland fliegen – Ergebnis offen.

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