Wiarda wundert sich_16_Dosch
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"ICH BIN SOZIALISIERT WORDEN mit der idealistischen Vorstellung, dass die Welt immer besser, immer vernünftiger wird", sagt Helmut Dosch. Mit dem entsprechenden Paradigma auch in der Wissenschaft: "Wir teilen uns die Aufgaben global auf." Doch das, sagt der Festkörperphysiker, "ist vorbei". Jetzt schwinge das Pendel auch in der Wissenschaft in die andere Richtung aus. "Wo brauchen wir nationale Souveränität? Eine auch für Deutschland wichtige Frage, der man sich stellen muss." Seine Hoffnung sei, dass das Pendel wieder zurückschwinge, dass man irgendwann einen "vernünftigen Kompromiss" finde zwischen internationaler Zusammenarbeit und nationaler Souveränität.
Helmut Dosch, Jahrgang 1955, gehört zu den einflussreichsten Wissenschaftsmanagern in Deutschland. Über viele Jahre Direktor am damaligen Max-Planck-Institut für Metallforschung in Stuttgart, wurde er 2009 Vorsitzender des Direktoriums des Deutschen Elektronen-Synchrotrons (DESY), einer Großforschungseinrichtung mit Hauptsitz in Hamburg und rund 3000 Mitarbeitern. In einer neuen Folge von "Wiarda wundert sich" spricht Dosch über die Folgen der sogenannten Zeitenwende für die Wissenschaft – und für sich persönlich als Wissenschaftler.
Aufgabe des DESY ist die Erforschung von Struktur, Dynamik und Funktion der Materie. Die Forschung mit Teilchenbeschleunigern und anderen Großgeräten sei international immer sehr offen gewesen, sagt Dosch und beschreibt die "große Euphorie", die noch vor einem Jahrzehnt auch in der Zusammenarbeit mit Russland geherrscht habe. Russland partizipierte an FAIR, dem Neubau einer weltweit einzigartigen Beschleunigeranlage in Darmstadt, Russland partizipierte am European X-FEL, dem 2016 eingeweihten und eng mit dem DESY verbundenen europäischen Röntgenlaser.
Die Stimmung sei gewesen: "Lasst uns da doch möglichst offen kooperieren." Dass das schiefgehen würde, sei für ihn persönlich "ein richtiger Schlag ins Kontor". Er hätte sich nie vorstelle können, dass das russische Partnerinstitut, mit dem er und das DESY so eng zusammengearbeitet hatten, "zu einem Spindoktor für das Regime wird und das Regime mit pseudowissenschaftlichen Informationen versorgt".
Die neue Intensität der Debatte über Dual Use von Forschungsergebnissen verfolgt Dosch mit gemischten Gefühlen. "Wir haben schon in der Vergangenheit sehr akribisch geschaut. Und ich kann sagen: In meiner 15-jährigen Amtszeit haben wir nur zwei Forschungsanträge abgelehnt, die einen klaren Dual-Use-Charakter hatten." Eine andere Frage sei, "ob wir in diesen neuen Zeiten ein Forschungszentrum in den Dienst auch der verteidigungsrelevanten Forschung stellen sollten".
Was Dosch umtreibt, ist die Wissenschaftskommunikation. "Wir haben in der Vergangenheit viel versäumt, die Wissenschaft besser in der Bevölkerung zu erklären.“ Mit dem Ergebnis, dass jetzt Verschwörungstheorien wie gleichberechtigt neben wissenschaftliche Erkenntnisse gestellt würden. "Da müssen wir jetzt wirklich die Aufholjagd machen, nicht nur hier in Deutschland, überall."
Dosch äußert sich auch zu jüngsten Forderungen des Bundesrechnungshofs nach einer stärkeren Aufsicht für die Max-Planck-Gesellschaft. Gerade als früherer Max-Planck-Direktor könne er nur davon abraten, an Max Planck "groß rumzuoperieren. Die liefern gut ab." Man sei ja mittlerweile enttäuscht, wenn Max Planck pro Jahr nur einen Nobelpreis abliefere anstatt zwei.
Ein Gespräch kurz vor Ende einer bemerkenswerten Wissenschaftlerkarriere über alte und neuen Aufgaben für die Wissenschaft – und Deutschlands Attraktivität als Wissenschaftsstandort.
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