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AFRIKA - Liberia, die Stieftochter der USA
Manage episode 471344771 series 2822647
Weiße US-Amerikaner kauften 1822 Land an der westafrikanischen Küste, um dort ehemalige Schwarze Sklaven anzusiedeln, in ein "freies Land", nach "Liberia". Doch die Neusiedler trafen auf bereits ansässige Ethnien, mit denen es bald zu Konflikten kam. Von Ariane Stolterfoht (BR 2022)
Credits
Autorin: Ariane Stolterfoht
Regie: Frank Halbach
Es sprachen: Katja Amberger, Christian Baumann, Christian Schuler, Andreas Dirscherl, Julia Cortis
Technik: Susanne Herzig
Redaktion: Thomas Morawetz
Im Interview: Prof. Eric Burin, Dr. Patrick C. Burrowes, Dr. Cassandra Mark-Thiesen
Besonderer Linktipp der Redaktion:
NDR: Becoming The Beatles – Die Hamburger Jahre (mit Bonusfolge)
We grew up in Hamburg", hat John Lennon gesagt. Und auch: "Live waren wir nie besser." Obwohl der erste Auftritt der Band in einem Stripclub auf St. Pauli ein totaler Reinfall war. Was ist da also passiert auf dem Hamburger Kiez zwischen 1960 und 1963? Wie wurden aus ein paar unbedarften Liverpooler Jungs absolute Superstars? Der Podcast erzählt, wie die jungen Beatles auf den Bühnen der Reeperbahn die Nächte durchspielen. Mit eisernem Willen einen Traum verfolgen. Und für immer die Popmusik-Geschichte verändern. ZUM PODCAST
Linktipps:
Deutschlandfunk (2019): Liberias blutige Vergangenheit
Vor 30 Jahren brach in Liberia einer der blutigsten Bürgerkriege der Geschichte Afrikas aus. Heute herrscht in dem westafrikanischen Land zwar Frieden, aber die Aufarbeitung der Kriegsgräuel ist ins Stocken geraten. Viele Kriegsverbrecher sind straffrei geblieben. Der Kampf um Gerechtigkeit geht weiter. JETZT ANHÖREN
ZDF (2022): Enslaved – Auf den Spuren des Sklavenhandels: Schweres Erbe
Viele Nachkommen der Sklaven in den USA haben ihre Verbindung zu ihren afrikanischen Wurzeln verloren. Samuel L. Jackson ist einer der wenigen Glücklichen, die ihre Abstammung kennen. JETZT ANSEHEN
Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte:
Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun?
DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend.
Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN.
Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek:
ARD Audiothek | Alles Geschichte
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
MUSIK
SPRECHER
1816. Die Vereinigten Staaten sind eine Nation in den Kinderschuhen – erst vor 27 Jahren haben sich die ehemaligen britischen Kolonien von Großbritannien getrennt.
SPRECHERIN
Die junge Nation sucht noch nach sich selbst. Wer sind wir? Wer wollen wir sein? Darüber sind sich die Amerikaner nicht einig. Insbesondere dann, wenn es um die Frage der Sklaverei geht.
SPRECHERIN
Im Süden schuften Sklaven weiterhin auf Plantagen und in den Haushalten der Weißen. Im Norden dagegen wird die Sklaverei nach und nach abgeschafft. Immer mehr Schwarze leben nun in Freiheit – einige arbeiten sogar als erfolgreiche Kleinunternehmer, erzählt die Historikerin Marie Stango von der staatlichen Universität Idaho:
O-TON Stango
“Generally, historians understand that following the period of the American Revolution, really brought about by the revolution, there was this movement towards gradual emancipation in the Northern States. And it is important to understand, too, that a lot of this was driven by enslaved people themselves. So for instance in MA, where there was an immediate abolition, this had to do with enslaved people themselves petitioning for their freedom. Using that same rhetoric of the American Revolution to argue that they also party to freedom, as much as the colonists should be no longer subject to the British Empire.”
Übersetzerin
„Historiker haben inzwischen herausgefunden: Die Emanzipation wurde vielerorts von versklavten Menschen selbst vorangetrieben – mit der Rhetorik der Amerikanischen Revolution. Die Freiheit stehe ihnen genauso zu wie den Siedlern, die nicht länger dem britischen Empire unterworfen sein wollten.“
SPRECHERIN
Im Süden dagegen verursacht diese Entwicklung eine erhebliche gesellschaftliche Unwucht, erzählt Stango.
O-TON Stango
“Some of these enslavers start to worry that these free people might inspire enslaved people in other states to seize their own freedom. The Haitian revolution, for example, looms very large in the US imagination at this time. So in the early 19th century there is this fear that something like what happened in Haiti in which enslaved people overturned the colonial govt of Santo Domingo, overturned the system of Slavery.”
Übersetzerin
„Manche Sklavenhalter befürchten, dass sich ihre Sklaven an den freien Schwarzen ein Vorbild nehmen und auch in den USA Sklavenaufstände organisieren könnten. Die Revolution in Haiti beflügelt ihre Phantasie: Dort haben Sklaven gerade die französische Kolonialregierung gestürzt und die Sklaverei abgeschafft.“
SPRECHER
Und so bekommt eine Idee Aufwind, die schwarzen Amerikanern zwar ein Leben in Freiheit ermöglichen soll, aber eben nicht in den Vereinigten Staaten, erzählt Eric Burin, Professor für Geschichte an der University of North Dakota.
O-TON Eric Burin
“For a lot of individuals, including Thomas Jefferson, they just couldn’t imagine black and white people living together on terms of equality. So even those individuals who had some misgivings about slavery, believed that if you are going to end slavery you also have to remove black Americans from the US and this becomes sort of the central idea of colonization.”
Übersetzer 1
“Viele Menschen, darunter auch der Gründungsvater Thomas Jefferson, konnten sich einfach nicht vorstellen, dass Schwarze und Weiße gleichberechtig zusammenleben. Selbst die, die die Sklaverei abschaffen wollten, wollten auch, dass schwarze Amerikaner anschließend die USA verlassen. Und so entsteht die Idee von der Kolonialisierung.“
MUSIK
SPRECHERIN
Für die Ansiedlung von Schwarzen rückt erst der amerikanische Westen in den Fokus, dann die Karibik, Zentral- und Südamerika. Schließlich kristallisiert sich immer deutlicher heraus: Afrika soll es sein, der Herkunftskontinent der amerikanischen Schwarzen.
SPRECHER
Die Herausforderung heißt jetzt: Alle Befürworter dieser Idee zusammenbringen. Tatsächlich gelingt das im Dezember 1816. Sir Robert Finley gründet die American Colonization Society, kurz ACS, also eine „Amerikanische Gesellschaft für Kolonialisierung“. Alle Mitglieder sind verdiente weiße Amerikaner – weder schwarze Amerikaner noch Afrikaner sind erwünscht.
SPRECHERIN
Allerdings unterscheiden sich die Interessen der Gründungsmitglieder deutlich voneinander. Sklavenbesitzer unterstützen die Idee der Kolonialisierung, wie gesagt, aus Angst vor Sklavenaufständen.
SPRECHER
Aber auch Sklavereigegner sind mit von der Partie, darunter viele Kirchenvertreter. Insbesondere die Quäker unterstützen das Projekt.
O-TON Burin
“So in their minds, this was a patriotic endeavour that would somehow gradually end slavery in America, remove a population that they perceived to be a danger to the US, would benefit the emigrants themselves by removing them from the canopy of American racism and potentially redeem – in their words - Africa to Christianity and modern commerce if you will.”
Übersetzer 1
„In deren Auffassung war das ein patriotisches Unterfangen: Die Sklaverei würde in den USA schrittweise abgeschafft und die schwarzen Landsleute, die sie für gefährlich hielten, würden außer Landes gebracht. Außerdem dachten sie, dass es gut für diese Menschen wäre, dem amerikanischen Rassismus zu entkommen. Nebenbei könnten die Emigranten auch gleich Afrika zu Christentum und modernem Handel bekehren.“
SPRECHER
Mächtige Politiker lassen sich in die Sache einspannen. In späteren Jahren sogar die Präsidenten Thomas Jefferson, James Monroe und James Madison. Auch sie: Sklavenhalter.
MUSIK
SPRECHERIN
Diese weißen Amerikaner machen sich also reichlich Gedanken. Was ihnen zur Umsetzung ihres Plans allerdings fehlt, ist die Finanzierung – Geld für Nahrungsmittel, für Schiffspassagen, für Waffen, für den Landkauf.
SPRECHERIN
Völlig unverhofft hilft ihnen dann ein neues Gesetz, staatliche Behörden zur Unterstützung zu überreden. Seit 1808 ist der Sklavenimport verboten. Alle von Menschenhändlern illegal ins Land gebrachten Afrikaner müssen wieder zurückgeführt werden. Hier bietet sich jetzt die American Colonization Society – ganz clever – als Dienstleister an: „Wir bringen diese Menschen – zusammen mit amerikanischen Schwarzen – „zurück“ nach Afrika. Dafür erhalten wir die Finanzierung für unser Projekt“.
SPRECHER
Sie bekommen den Zuschlag. Hunderttausend Dollar stellt der amerikanische Kongress 1819 für den Deal zur Verfügung.
SPRECHERIN
Jetzt fehlen der ACS nur noch die potentiellen Siedler – also schwarze Amerikaner, die tatsächlich bereit sind, die USA zu verlassen. Für eine völlig ungeklärte Zukunft an einem noch unbestimmten Ort, irgendwo in Afrika, dem Kontinent, den sie selbst, ihre Eltern oder Großeltern vor langer Zeit verlassen hatten… Die Vorbehalte der schwarzen Amerikaner gegenüber der Kolonialisierungsidee sind mächtig. Ein Großteil empfindet sie schlicht als Unverschämtheit.
O-TON Burin
“Black Americans had been in what became the US before the pilgrims. This in their estimation was THEIR land, it was THEIR society. It was the only one that they knew. They had helped it grow with their blood, sweat and tears. And so for White Americans to say: This is not really your country” “You don’t belong here” “you are not a part of this society and never will be”, was an affront!
Übersetzer 1
„Schwarze Amerikaner waren der Auffassung, das sei auch ihre Gesellschaft und ihr Land – für viele das einzige, das sie kannten! Sie hatten mit Blut, Schweiß und Tränen zu seinem Aufbau beigetragen. Und jetzt sagten Weiße: Das ist nicht Euer Land, Ihr werdet nie dazugehören!“
MUSIK
ATMO Hafen, Segelschiff, Unruhe, Geschrei, Möwen
SPRECHER
1820 schließlich haben sich doch 86 Auswanderungswillige gefunden. Im Hafen von New York beginnt auf dem Segelschiff Elizabeth die Reise in ihr neues Leben.
ATMO Hafen, Segelschiff, Unruhe, Geschrei, Möwen
SPRECHER
Ungefähr drei Monate später – endlich – kommt Land in Sicht.
O-TON Stango
“So that first ship, the Elizabeth, initially goes to Sierra Leone as does the Nautilus, which is the second ship. There is the British settlement at Sierra Leone, the development of Sierra Leone shares a lot of similarities with Liberia. So initially they land there, hoping to find a place further down the coast where they can negotiate a land sale. They are waiting there for quite some time. // So this process is quite gradual in fact. And the sources that talk about these early, early years of colonization talk about the precarity of these settlers. // They are desperate. They don’t have enough food supplies. Many of these settlers fall victim to illness and disease. Some scholars have examined the mortality rate during the early years of colonisation and it is very high.”
Übersetzerin
„Die Elizabeth segelt zunächst nach Sierra Leone, // Die Auswanderer warten dort auf der Insel Sherbro eine halbe Ewigkeit darauf, dass sie weiter unten an der Küste Land kaufen können.“
ATMO Sumpf
SPRECHERIN
Mangrovensümpfe, Gelbfieber, Malaria, Hunger: Über ein Viertel der Siedler sterben in dieser unwirtlichen neuen Heimat. Die Mission endet im Desaster. Einige retten sich zurück auf’s Festland, aber feststeht: Die ACS muss neue Wege finden, damit die Ansiedlung gelingen kann.
MUSIK
SPRECHER
Und nun passiert etwas, was die Geschichte Liberias und deren Erzählung für zweihundert Jahre prägen wird. Im Jahr 1821 reisen zwei Männer nach Westafrika, die das Projekt auf neue Füße stellen sollen – der ACS-Agent Dr. Eli Ayres sowie der Marineoffizier Robert Stockton.
Sie suchen und finden ein passendes Siedlungsgebiet und verhandeln schließlich vor Ort mit Stammesführern der Dey und der Bassa – insbesondere mit König Peter Zolu Duma. Sie einigen sich auf den Verkauf von einem Küstenstreifen am Cap Mesurado – der Preis: Lebensmittel, Geschirr, Waffen, Schießpulver, Schuhe, Schirme, Hüte und Spiegel sowie Rum. Der Gesamtwert: 300 Dollar.
MUSIK
SPRECHERIN
Doch wie friedlich lief dieses Tauschgeschäft wirklich ab? Diesen Landstrich – so die offizielle Geschichtsschreibung – erwerben die Amerikaner mit Waffengewalt: Stockton habe seine Pistole gezückt und die Einheimischen zum Einlenken gezwungen. Auch hätten die gar nicht richtig verstanden, was sie da unterschrieben. Und damit habe eine lange Tradition des Landraubes und der Korruption begonnen, der die Streitigkeiten zwischen den arglosen Einheimischen und den Siedlern immer wieder angeheizt habe.
SPRECHER
Dieser Konflikt habe sich wie ein Schwelbrand durch die Geschichte gefressen. Bis in die Neuzeit hinein. Die Folge: Zwei verheerende Bürgerkriege in den 1990er und 2000er Jahren. Soweit die etablierte Geschichtsschreibung.
MUSIK
SPRECHERIN
Doch ein liberianischer Historiker wollte das lange nicht glauben. Patrick Carl Burrowes weiß aus seinen Forschungen: Die immerhin 16 ortsansässigen Stämme waren alles andere als naiv:
O-TON Burrowes
“By the 1650s, people were drinking French Brandy and Caribbean rum, you had smoked Herring from the Mediterranean but you also had cod from the sea around Norway, that was salted. And brought here as well. And these would be added as seasoning as flavouring and also as a kind of prestige element in the cuisine. Because they weren’t readily available. In addition to that: clothing! A lot of fabrics that were preferred by West Africans at the time were actually from Asia. So European traders would bring them and trade them for local goods. They tried selling European fabrics. But people here weren’t interested in wool. And in some cases, they didn’t like the patterns. So, the preferred the colors etc that were coming out of Asia. So, you are talking about a kind of sophisticated consumer market with its own tastes influencing the products that were preferred. And then, of course, there were guns. Guns were exchanged for captives. So, there were Danish muskets and you know, other weapons available.”
Übersetzer 2
„In den 1650er Jahren bereits tranken die Menschen französischen Brandy und karibischen Rum. Geräucherter Hering aus dem Mittelmeer sowie gesalzener Kabeljau aus Norwegen wurden einheimischen Gerichten als Zutat beigefügt – aus Prestigegründen. – Und Westafrikaner liebten Stoffe aus Asien! Europäische Händler brachten sie mit, um sie gegen lokale Waren einzutauschen. Sie versuchten auch, europäische Stoffe zu verkaufen. Aber die Leute hier interessierten sich nicht für Wolle. // Wir sprechen also von einer Art anspruchsvollem Verbrauchermarkt mit eigenen Präferenzen. Und dann waren da natürlich Waffen – darunter auch dänische Musketen – sie wurden unter anderem gegen Gefangene getauscht.“
SPRECHERIN
Burrowes sagt: Es gibt diesen Ansatz in der Geschichtsschreibung, immer „große Männer“ als die einzig wichtigen Akteure darzustellen. In diesem Fall: die weißen Begleiter der schwarzen Siedler.
SPRECHER
Ein anderer Ansatz sieht die schwarzen Einwanderer als erfolgreiche Pioniere.
SPRECHERIN
Burrowes dagegen ist der Auffassung, dass es drei Player brauchte, um den Prozess der Ansiedlung erfolgreich voranzubringen. Ohne die Zustimmung der Einheimischen, so seine Überzeugung, wäre der Deal nie zustande gekommen. Und es ist genau dieser Blick, der gerade eine ganz neue Dynamik in die Geschichtsschreibung rund um die Gründung Liberias bringt.
SPRECHER
In Washington gräbt sich Burrowes unermüdlich und immer tiefer in die Archive ein.
O-TON Burrowes
“I was doing research on the founding of Liberia and the secondary sources were available. And the diary or journal kept by Dr. Ayres was published in newspapers of that period. But I really wanted to track down the primary sources, if I could. And having worked with the papers, the collection of the ACS for years, I had come to know that there were three lawyers to whom legal issues were referred by the society. And one of them was Francis Scoot Key. His papers were in MD, and I was living in MD at the time. So I had access. I went through his legal papers but I didn’t find the purchase agreement. There was a second person and he somewhat faded into obscurity. His papers didn’t seem to have been preserved. And the third lawyer was Elias Caldwell who served as the secretary of the society. But it was a voluntary position and it was part-time. His main position was as clerk to the Supreme Court. And he worked with justice Bushrod Washington who was head of the ACS. I went looking for papers of Elias Caldwell and I found that some of his papers were in a collection of Bushrod Washingtons! And it turned out that apparently, he died with some ACS papers in his office at the Supreme Court. They ended up being housed with Bushrod Washingtons papers and the purchase agreement was in it – and the next day I wake up and I wonder is it still true??”
Übersetzer 2
„Weil ich jahrelang mit der Sammlung der ACS gearbeitet hatte, wusste ich, dass die ACS drei Anwälte beschäftigt hatte. Einer hieß Elias Caldwell, er war Hauptberuf Gerichtsschreiber am Obersten Gerichtshof. Und als er starb, verblieben einige ACS-Akten in seinem Büro am Obersten Gerichtshof. Am Ende fand ich sie unter Bushrod Washingtons Papieren. Und – da war er: Der Kaufvertrag!! Am nächsten Tag wache ich auf und frage mich, ob ich das nicht alles geträumt habe!“
SPRECHERIN
Exakt 200 Jahre nach der Ankunft der ersten Siedler in Westafrika entdeckt er die Nadel im Heuhaufen – das Dokument, das die Geschehnisse von 1822 plötzlich ein einem völlig anderen Licht dastehen lässt:
O-TON Burrowes
“What unfolded was a series of conferences over several days, about a week. And a number of issues were being discussed: Why do you want this land? How will it benefit us? We want schools, we want our kids to be exposed to the workings of the Western world or the global economy. // But a critical moment came when two people showed up that were living in Freetown. One worked on a slave ship and the other was himself a slave catcher in Sollar(?). And they both came to press on the local rulers that had assembled that they were not to sell this land because if they did, the Americans were abolitionists and they would interfere with their trade. So, the first person, from the slave ship, explained his story: he said Lieutenant Robert Stockton who represented the US Navy had fired on his ship without provocation and then the next speaker, the slave trader began his denunciation of the abolitionist etc. It was at that point that Stockton who had two pistols hidden in his pants, in the back, he carried the pistols for duelling purposes and he had participated in duels before, he pulled out these pistols – none of the other Americans were armed, they had deliberately come on land unarmed to portray a sense of being pacifist – but him being a military person, he had kept his arms. So, he pulled out the pistols and he threw one to Ayres and says: If the slave seller continues to speak, shoot him! Because I need to talk, I want to present myself. And he held the other pistol at the chiefs, the local rulers, and he explained his side: The slave ship had fired on him and he returned fire. He said he wasn’t allowed to interfere with slavers unless they were Americans and that ship was not.”
Übersetzer 2
„Die Amerikaner und die Einheimischen treffen sich über mehrere Tage hinweg, etwa eine Woche. Sie diskutieren eine Reihe von Fragen: Warum wollt Ihr dieses Land? Welchen Nutzen haben wir von dem Verkauf? Wir wollen Schulen, wir wollen, dass unsere Kinder lernen, wie die westliche Welt und die globale Wirtschaft funktionieren. Kritisch wird es plötzlich, als zwei Leute aus Freetown auftauchen. Einer arbeitet auf einem Sklavenschiff und der andere als Sklavenfänger. Die beiden wollen verhindern, dass die einheimischen Führer ihr Land verkaufen, weil sie befürchten, dass die Amerikaner als Sklavereigegner ihren Handel stören. Der Händler vom Sklavenschiff behauptet nun, Lieutenant Robert Stockton von der US-Marine, habe ohne Provokation sein Schiff beschossen. Um sich friedfertig zu zeigen, war die amerikanische Delegation unbewaffnet zu dem Treffen gekommen. Nur Stockton trägt für Duellzwecke immer zwei Pistolen bei sich. Er zieht also die beiden Pistolen und sagt: „Wenn der Sklavenhändler weiterspricht, erschieße ich ihn! Ich will, dass Ihr mich anhört.“ Er richtet die andere Pistole auf die Häuptlinge und erzählt seine Version der Geschehnisse: Das Sklavenschiff habe auf ihn geschossen und er habe das Feuer nur erwidert. Und er beteuert, dass er sich gar nicht in den Sklavenhandel einmischen darf, es sei denn, es geht um ein amerikanisches Schiff.“
SPRECHERIN
Die Verhandlungen enden kurz darauf. Die Stammesführer kündigen an, dass sie den Amerikanern am kommenden Tag ihre Entscheidung mitteilen werden. Und tatsächlich: Am folgenden Morgen stimmen sie dem Verkauf zu.
O-TON Burrowes
“So, the image that has developed over time, of people signing a contract a with the pistol to their heads was not really accurate. To characterize the sale as being done under duress, when… - the signing took place a day later – it’s problematic to me, it is inaccurate. Furthermore, writing history it is important to look at the context. What preceded and what follows. And really what follows the sale of Cape Mesurado are a series of other sales, other tracks of land. And they were sold by five of the six who signed the original contract. So, again this suggests that there was an ongoing understanding and agreement and relationship between local rulers and the Americans who had come to this area.”
Übersetzer 2
„Es stimmt also nicht, was jahrelang als historische Tatsache hingestellt wurde. Den Verkauf als Zwangsverkauf zu charakterisieren, wenn die Unterzeichnung einen Tag später stattfand, ist unlogisch. In der Geschichtswissenschaft ist es wichtig, auf den Kontext zu achten: Was auf den Verkauf von Cape Mesurado folgt, ist nämlich der Verkauf von anderen Grundstücken. Und die wurden von fünf der sechs Einheimischen verkauft, die den ursprünglichen Vertrag unterzeichnet hatten. Auch das deutet darauf hin, dass es ein gutes Einvernehmen gab zwischen den lokalen Herrschern und den Amerikanern.“
SPRECHER
Das Land am Kap Mesurado nennen sie Liberia, das Land für freie Schwarze. Die Hauptstadt erhält den Namen des amtierenden amerikanischen Präsidenten James Monroe. Sie heißt: Monrovia.
MUSIK
SPRECHERIN
Gleichzeitig rekrutiert die ACS in den Vereinigten Staaten unermüdlich weiter. Sie holt sogar ein paar Auswanderer zurück, damit sie für Liberia werben.
SPRECHER
Manche Weiße lassen einzelne ihrer Sklaven ziehen. Die Sklavenhalter, sagt Eric Burin, haben dabei unterschiedliche Motive.
O-TON
“One thing worthwhile considering is why people liberate persons. Sometimes they do it out of a sense of guilt, sometimes they have perhaps a special relationship like a familial relationship with an enslaved person. But liberating slaves could also be a way of eliciting dutifulness or obedience from enslaved workers, right? You dangle the carrot of freedom in front of some enslaved workers in the hope that they will do what you ask them to do.”
Übersetzer 1
„Einige tun das aus Schuldgefühlen, andere wollen nicht, dass ihre eigenen, illegitimen Kinder in Gefangenschaft aufwachsen. Aber die Befreiung einzelner Sklaven ist auch eine Methode, um andere Sklaven gefügig zu machen. Sie halten die Karotte der Freiheit vor sie hin, in der Hoffnung, dass die dann weiter das tun, was von ihnen verlangt wird.“
SPRECHERIN
Gleichzeitig bangen viele Weiße um ihre Existenzgrundlage. Was passiert mit ihren Plantagen und in ihren Haushalten, wenn die Arbeitskräfte nicht mehr parieren oder gar nicht mehr verfügbar sind?
Was weitere Unruhe schafft: Sobald Nachbarn einzelne Sklaven freilassen, wirkt sich das auf die ganze Community aus. Historische Quellen zeigen: Die Freigelassen wollen nicht allein auswandern, sie bestehen darauf, ihre Familien mitzunehmen. Häufig aber leben andere Familienmitglieder – weil sie weiterverkauft wurden – in anderen Haushalten, bei anderen Sklavenhaltern.
SPRECHER
Auch hier zeigt sich, was Burrowes bereits über den Land-Deal in Westafrika gesagt hat: Die schwarze Bevölkerung – ob versklavt oder frei – ist jederzeit aktiv beteiligt und nutzt ganz bewusst ihre Ressourcen. Marie Stango kann das aus ihrer Forschung bestätigen.
O-Ton Stango
“Liberia, in the early years suffers from famine, these settlers suffer from Malaria, Yellow Fewer, and really many of them are incredibly poor. Because they have been enslaved people in the US, they didn’t have capital or wealth before migrating. So they are really invested in maintaining some of these networks. In some cases as trading partners. So Lott Carry does this with some VA tobacco merchants. He has a business where he is trading tobacco with them. And then for people like the Skipwiths from VA: they are asking for material supplies and food, because their lives are so precarious in Liberia. “
Übersetzerin
„Viele Siedler hatten vor der Migration kein Vermögen. Sie halten deshalb frühere Netzwerke aufrecht – das sehe ich in entsprechenden Briefen in den Archiven. Manchmal werden sie sogar Handelspartner. Der Siedler und Tabakfabrikant Lott Carry handelt mit Tabakunternehmern in Virginia. Und dann gibt es Menschen wie die Familie Skipwith aus Virginia: Sie bittet ihre ehemaligen Sklavenhalter um materielle Versorgung und Lebensmittel, weil ihr Leben in Liberia so prekär ist.“
MUSIK
SPRECHERIN
Und dann passiert trotz der Existenznöte in den Anfangszeiten der Kolonialisierung etwas Erstaunliches: Die Siedler, die ab 1822 ans Kap Mesurado kommen, bringen das amerikanische Gesellschaftsmodell mit nach Afrika. Nur, dass die amerikanischen Schwarzen dieses Mal nicht am unteren Ende der Gesellschaft stehen, sondern oben.
SPRECHER
Alte Fotos zeigen amerikanische Siedler in westlicher Kleidung, ihre Haut deutlich heller als die der Einheimischen. Die Ironie dabei: Eben diese helle Hautfarbe ist ein körperlicher Beleg für die Gewalt, die Sklaven in den USA erlitten haben. Sklavinnen wurden von ihren Eigentümern so regelmäßig vergewaltigt, dass die Sklavenpopulation mit der Zeit immer hellhäutiger wurde. Und jetzt beanspruchen diejenigen, die in der Heimat aufgrund ihrer Hautfarbe diskriminiert und ausgebeutet wurden, wegen ihrer helleren Hautfarbe in Afrika einen höheren gesellschaftlichen Status? Für die ACS sind diese Entwicklungen unwichtig.
O-TON CMT
„Natürlich war Colorism Teil dieser gesellschaftlichen Schichtungen, aber schnell danach sind wirtschaftliche Unterschiede fast wichtiger geworden. Es gab Leute, die mit Geld angekommen sind und es gab andere, die sich sofort Arbeit suchen mussten.“
O-TON Burrowes
“I am very familiar with this narrative where African Americans returned and they constructed a society very much like the one they had left behind in the US. They had dominated indigenous groups etc. etc., but I would say to you that this version of Liberian history emerged in the 1950s, 1960s and now it is entrenched. The idea that the Civil War which took place in the 1990s, early 2000s can be explained by the founding of Liberia for me its problematic. Because it means that you jump over all of the proximal causes, events that are more closely related, that occurred shortly before the Civil War, 5, 10, 20 years before, and you go back 200 years to say: This is why there was a war! Who does that? How can you use history in such a way! It is to me unacceptable. But it has become common. It is a lazy way of understanding the Liberian condition! It’s linked to a refusal to critique the behaviour of people who are living today, people who are architects of the war! “So it’s not our fault, it’s people 200 years ago who caused us to do this”… Doesn’t make sense to me.“
Übersetzer 2
„Ich kenne dieses Narrativ sehr gut, in dem Afroamerikaner zurückkehrten und eine Gesellschaft aufbauten, die der in den USA zurückgelassenen sehr ähnlich war und dann die indigenen Gruppen unterdrückt haben. Aber diese Version der liberianischen Geschichte tauchte erst in den 1950er und 60er Jahren auf und hat bis heute feste Wurzeln geschlagen. Die Idee, dass der Bürgerkrieg, der in den 1990er, frühen 2000er Jahren stattfand, durch die Gründerzeit Liberias erklärt werden kann, ist für mich problematisch. Denn das bedeutet, dass man über alle anderen Ursachen hinwegsieht, über Ereignisse kurz vor dem Bürgerkrieg – fünf, zehn, 20 Jahre davor – und die viel mehr damit zu tun haben! Stattdessen geht man 200 Jahre zurück und argumentiert: „Deshalb gibt es heute Krieg!“. Das ergibt für mich keinen Sinn.“
SPRECHERIN
Spätestens ein Jahrzehnt nach der Atlantiküberquerung der Elizabeth wird den Männern von der ACS klar, dass sie weitere Auswanderer nur dann gewinnen können, wenn sie einen neuen Staat gründen – unter schwarzer Führung.
SPRECHER
1847, also 24 Jahre nach der Gründung der Kolonie ist es tatsächlich soweit: Liberia erlangt die Unabhängigkeit – mit einer Verfassung nach amerikanischem Vorbild.
MUSIK
SPRECHERIN
Nach der Staatsgründung kommen immer mehr Immigranten aus Amerika und der Karibik an – am Ende sind es allerdings insgesamt nur 17.000. Und damit hat die American Colonization Society ihr ursprüngliches Ziel – ein Amerika ohne Schwarze zu schaffen – gründlich verfehlt.
SPRECHER
Die erfolgreiche Ansiedlung von schwarzen Amerikanern in Westafrika dagegen, ist ihr gelungen.
MUSIK
SPRECHERIN
Ein freies Land unter schwarzer Führung – eine schwarze Nation: Wie ein Leuchtfeuer strahlt diese Errungenschaft jetzt in andere Länder aus. Liberia ist die erste Republik in Afrika und – nach Haiti – erst die zweite schwarze Republik weltweit.
SPRECHER
In einer Zeit, in der sich europäische Länder in Afrika einen Wettlauf liefern, um den Kontinent in Kolonien aufzuteilen und auszubeuten! Wie auch immer diese Diskussion ausgeht – eins ist klar: Nach Burrowes Archivfunden, muss sich die Geschichtsschreibung in Liberia jetzt neu sortieren.
O-TON Burrowes
“I’m not sure but I am optimistic that a more professional telling of the story, a more disciplined telling of the story will emerge. Of the Liberian story that is, very generally speaking. I am optimistic that we will see a shift in the paradigm.”
Übersetzer 2
„Ich bin mir nicht sicher, aber ich bin optimistisch, dass sich ein professionellerer, ein disziplinierterer Umgang mit der liberianischen Geschichte durchsetzen wird. Ich bin zuversichtlich, dass wir bald einen Paradigmenwechsel erleben.“
MUSIK
397 эпизодов
Manage episode 471344771 series 2822647
Weiße US-Amerikaner kauften 1822 Land an der westafrikanischen Küste, um dort ehemalige Schwarze Sklaven anzusiedeln, in ein "freies Land", nach "Liberia". Doch die Neusiedler trafen auf bereits ansässige Ethnien, mit denen es bald zu Konflikten kam. Von Ariane Stolterfoht (BR 2022)
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Im Süden schuften Sklaven weiterhin auf Plantagen und in den Haushalten der Weißen. Im Norden dagegen wird die Sklaverei nach und nach abgeschafft. Immer mehr Schwarze leben nun in Freiheit – einige arbeiten sogar als erfolgreiche Kleinunternehmer, erzählt die Historikerin Marie Stango von der staatlichen Universität Idaho:
O-TON Stango
“Generally, historians understand that following the period of the American Revolution, really brought about by the revolution, there was this movement towards gradual emancipation in the Northern States. And it is important to understand, too, that a lot of this was driven by enslaved people themselves. So for instance in MA, where there was an immediate abolition, this had to do with enslaved people themselves petitioning for their freedom. Using that same rhetoric of the American Revolution to argue that they also party to freedom, as much as the colonists should be no longer subject to the British Empire.”
Übersetzerin
„Historiker haben inzwischen herausgefunden: Die Emanzipation wurde vielerorts von versklavten Menschen selbst vorangetrieben – mit der Rhetorik der Amerikanischen Revolution. Die Freiheit stehe ihnen genauso zu wie den Siedlern, die nicht länger dem britischen Empire unterworfen sein wollten.“
SPRECHERIN
Im Süden dagegen verursacht diese Entwicklung eine erhebliche gesellschaftliche Unwucht, erzählt Stango.
O-TON Stango
“Some of these enslavers start to worry that these free people might inspire enslaved people in other states to seize their own freedom. The Haitian revolution, for example, looms very large in the US imagination at this time. So in the early 19th century there is this fear that something like what happened in Haiti in which enslaved people overturned the colonial govt of Santo Domingo, overturned the system of Slavery.”
Übersetzerin
„Manche Sklavenhalter befürchten, dass sich ihre Sklaven an den freien Schwarzen ein Vorbild nehmen und auch in den USA Sklavenaufstände organisieren könnten. Die Revolution in Haiti beflügelt ihre Phantasie: Dort haben Sklaven gerade die französische Kolonialregierung gestürzt und die Sklaverei abgeschafft.“
SPRECHER
Und so bekommt eine Idee Aufwind, die schwarzen Amerikanern zwar ein Leben in Freiheit ermöglichen soll, aber eben nicht in den Vereinigten Staaten, erzählt Eric Burin, Professor für Geschichte an der University of North Dakota.
O-TON Eric Burin
“For a lot of individuals, including Thomas Jefferson, they just couldn’t imagine black and white people living together on terms of equality. So even those individuals who had some misgivings about slavery, believed that if you are going to end slavery you also have to remove black Americans from the US and this becomes sort of the central idea of colonization.”
Übersetzer 1
“Viele Menschen, darunter auch der Gründungsvater Thomas Jefferson, konnten sich einfach nicht vorstellen, dass Schwarze und Weiße gleichberechtig zusammenleben. Selbst die, die die Sklaverei abschaffen wollten, wollten auch, dass schwarze Amerikaner anschließend die USA verlassen. Und so entsteht die Idee von der Kolonialisierung.“
MUSIK
SPRECHERIN
Für die Ansiedlung von Schwarzen rückt erst der amerikanische Westen in den Fokus, dann die Karibik, Zentral- und Südamerika. Schließlich kristallisiert sich immer deutlicher heraus: Afrika soll es sein, der Herkunftskontinent der amerikanischen Schwarzen.
SPRECHER
Die Herausforderung heißt jetzt: Alle Befürworter dieser Idee zusammenbringen. Tatsächlich gelingt das im Dezember 1816. Sir Robert Finley gründet die American Colonization Society, kurz ACS, also eine „Amerikanische Gesellschaft für Kolonialisierung“. Alle Mitglieder sind verdiente weiße Amerikaner – weder schwarze Amerikaner noch Afrikaner sind erwünscht.
SPRECHERIN
Allerdings unterscheiden sich die Interessen der Gründungsmitglieder deutlich voneinander. Sklavenbesitzer unterstützen die Idee der Kolonialisierung, wie gesagt, aus Angst vor Sklavenaufständen.
SPRECHER
Aber auch Sklavereigegner sind mit von der Partie, darunter viele Kirchenvertreter. Insbesondere die Quäker unterstützen das Projekt.
O-TON Burin
“So in their minds, this was a patriotic endeavour that would somehow gradually end slavery in America, remove a population that they perceived to be a danger to the US, would benefit the emigrants themselves by removing them from the canopy of American racism and potentially redeem – in their words - Africa to Christianity and modern commerce if you will.”
Übersetzer 1
„In deren Auffassung war das ein patriotisches Unterfangen: Die Sklaverei würde in den USA schrittweise abgeschafft und die schwarzen Landsleute, die sie für gefährlich hielten, würden außer Landes gebracht. Außerdem dachten sie, dass es gut für diese Menschen wäre, dem amerikanischen Rassismus zu entkommen. Nebenbei könnten die Emigranten auch gleich Afrika zu Christentum und modernem Handel bekehren.“
SPRECHER
Mächtige Politiker lassen sich in die Sache einspannen. In späteren Jahren sogar die Präsidenten Thomas Jefferson, James Monroe und James Madison. Auch sie: Sklavenhalter.
MUSIK
SPRECHERIN
Diese weißen Amerikaner machen sich also reichlich Gedanken. Was ihnen zur Umsetzung ihres Plans allerdings fehlt, ist die Finanzierung – Geld für Nahrungsmittel, für Schiffspassagen, für Waffen, für den Landkauf.
SPRECHERIN
Völlig unverhofft hilft ihnen dann ein neues Gesetz, staatliche Behörden zur Unterstützung zu überreden. Seit 1808 ist der Sklavenimport verboten. Alle von Menschenhändlern illegal ins Land gebrachten Afrikaner müssen wieder zurückgeführt werden. Hier bietet sich jetzt die American Colonization Society – ganz clever – als Dienstleister an: „Wir bringen diese Menschen – zusammen mit amerikanischen Schwarzen – „zurück“ nach Afrika. Dafür erhalten wir die Finanzierung für unser Projekt“.
SPRECHER
Sie bekommen den Zuschlag. Hunderttausend Dollar stellt der amerikanische Kongress 1819 für den Deal zur Verfügung.
SPRECHERIN
Jetzt fehlen der ACS nur noch die potentiellen Siedler – also schwarze Amerikaner, die tatsächlich bereit sind, die USA zu verlassen. Für eine völlig ungeklärte Zukunft an einem noch unbestimmten Ort, irgendwo in Afrika, dem Kontinent, den sie selbst, ihre Eltern oder Großeltern vor langer Zeit verlassen hatten… Die Vorbehalte der schwarzen Amerikaner gegenüber der Kolonialisierungsidee sind mächtig. Ein Großteil empfindet sie schlicht als Unverschämtheit.
O-TON Burin
“Black Americans had been in what became the US before the pilgrims. This in their estimation was THEIR land, it was THEIR society. It was the only one that they knew. They had helped it grow with their blood, sweat and tears. And so for White Americans to say: This is not really your country” “You don’t belong here” “you are not a part of this society and never will be”, was an affront!
Übersetzer 1
„Schwarze Amerikaner waren der Auffassung, das sei auch ihre Gesellschaft und ihr Land – für viele das einzige, das sie kannten! Sie hatten mit Blut, Schweiß und Tränen zu seinem Aufbau beigetragen. Und jetzt sagten Weiße: Das ist nicht Euer Land, Ihr werdet nie dazugehören!“
MUSIK
ATMO Hafen, Segelschiff, Unruhe, Geschrei, Möwen
SPRECHER
1820 schließlich haben sich doch 86 Auswanderungswillige gefunden. Im Hafen von New York beginnt auf dem Segelschiff Elizabeth die Reise in ihr neues Leben.
ATMO Hafen, Segelschiff, Unruhe, Geschrei, Möwen
SPRECHER
Ungefähr drei Monate später – endlich – kommt Land in Sicht.
O-TON Stango
“So that first ship, the Elizabeth, initially goes to Sierra Leone as does the Nautilus, which is the second ship. There is the British settlement at Sierra Leone, the development of Sierra Leone shares a lot of similarities with Liberia. So initially they land there, hoping to find a place further down the coast where they can negotiate a land sale. They are waiting there for quite some time. // So this process is quite gradual in fact. And the sources that talk about these early, early years of colonization talk about the precarity of these settlers. // They are desperate. They don’t have enough food supplies. Many of these settlers fall victim to illness and disease. Some scholars have examined the mortality rate during the early years of colonisation and it is very high.”
Übersetzerin
„Die Elizabeth segelt zunächst nach Sierra Leone, // Die Auswanderer warten dort auf der Insel Sherbro eine halbe Ewigkeit darauf, dass sie weiter unten an der Küste Land kaufen können.“
ATMO Sumpf
SPRECHERIN
Mangrovensümpfe, Gelbfieber, Malaria, Hunger: Über ein Viertel der Siedler sterben in dieser unwirtlichen neuen Heimat. Die Mission endet im Desaster. Einige retten sich zurück auf’s Festland, aber feststeht: Die ACS muss neue Wege finden, damit die Ansiedlung gelingen kann.
MUSIK
SPRECHER
Und nun passiert etwas, was die Geschichte Liberias und deren Erzählung für zweihundert Jahre prägen wird. Im Jahr 1821 reisen zwei Männer nach Westafrika, die das Projekt auf neue Füße stellen sollen – der ACS-Agent Dr. Eli Ayres sowie der Marineoffizier Robert Stockton.
Sie suchen und finden ein passendes Siedlungsgebiet und verhandeln schließlich vor Ort mit Stammesführern der Dey und der Bassa – insbesondere mit König Peter Zolu Duma. Sie einigen sich auf den Verkauf von einem Küstenstreifen am Cap Mesurado – der Preis: Lebensmittel, Geschirr, Waffen, Schießpulver, Schuhe, Schirme, Hüte und Spiegel sowie Rum. Der Gesamtwert: 300 Dollar.
MUSIK
SPRECHERIN
Doch wie friedlich lief dieses Tauschgeschäft wirklich ab? Diesen Landstrich – so die offizielle Geschichtsschreibung – erwerben die Amerikaner mit Waffengewalt: Stockton habe seine Pistole gezückt und die Einheimischen zum Einlenken gezwungen. Auch hätten die gar nicht richtig verstanden, was sie da unterschrieben. Und damit habe eine lange Tradition des Landraubes und der Korruption begonnen, der die Streitigkeiten zwischen den arglosen Einheimischen und den Siedlern immer wieder angeheizt habe.
SPRECHER
Dieser Konflikt habe sich wie ein Schwelbrand durch die Geschichte gefressen. Bis in die Neuzeit hinein. Die Folge: Zwei verheerende Bürgerkriege in den 1990er und 2000er Jahren. Soweit die etablierte Geschichtsschreibung.
MUSIK
SPRECHERIN
Doch ein liberianischer Historiker wollte das lange nicht glauben. Patrick Carl Burrowes weiß aus seinen Forschungen: Die immerhin 16 ortsansässigen Stämme waren alles andere als naiv:
O-TON Burrowes
“By the 1650s, people were drinking French Brandy and Caribbean rum, you had smoked Herring from the Mediterranean but you also had cod from the sea around Norway, that was salted. And brought here as well. And these would be added as seasoning as flavouring and also as a kind of prestige element in the cuisine. Because they weren’t readily available. In addition to that: clothing! A lot of fabrics that were preferred by West Africans at the time were actually from Asia. So European traders would bring them and trade them for local goods. They tried selling European fabrics. But people here weren’t interested in wool. And in some cases, they didn’t like the patterns. So, the preferred the colors etc that were coming out of Asia. So, you are talking about a kind of sophisticated consumer market with its own tastes influencing the products that were preferred. And then, of course, there were guns. Guns were exchanged for captives. So, there were Danish muskets and you know, other weapons available.”
Übersetzer 2
„In den 1650er Jahren bereits tranken die Menschen französischen Brandy und karibischen Rum. Geräucherter Hering aus dem Mittelmeer sowie gesalzener Kabeljau aus Norwegen wurden einheimischen Gerichten als Zutat beigefügt – aus Prestigegründen. – Und Westafrikaner liebten Stoffe aus Asien! Europäische Händler brachten sie mit, um sie gegen lokale Waren einzutauschen. Sie versuchten auch, europäische Stoffe zu verkaufen. Aber die Leute hier interessierten sich nicht für Wolle. // Wir sprechen also von einer Art anspruchsvollem Verbrauchermarkt mit eigenen Präferenzen. Und dann waren da natürlich Waffen – darunter auch dänische Musketen – sie wurden unter anderem gegen Gefangene getauscht.“
SPRECHERIN
Burrowes sagt: Es gibt diesen Ansatz in der Geschichtsschreibung, immer „große Männer“ als die einzig wichtigen Akteure darzustellen. In diesem Fall: die weißen Begleiter der schwarzen Siedler.
SPRECHER
Ein anderer Ansatz sieht die schwarzen Einwanderer als erfolgreiche Pioniere.
SPRECHERIN
Burrowes dagegen ist der Auffassung, dass es drei Player brauchte, um den Prozess der Ansiedlung erfolgreich voranzubringen. Ohne die Zustimmung der Einheimischen, so seine Überzeugung, wäre der Deal nie zustande gekommen. Und es ist genau dieser Blick, der gerade eine ganz neue Dynamik in die Geschichtsschreibung rund um die Gründung Liberias bringt.
SPRECHER
In Washington gräbt sich Burrowes unermüdlich und immer tiefer in die Archive ein.
O-TON Burrowes
“I was doing research on the founding of Liberia and the secondary sources were available. And the diary or journal kept by Dr. Ayres was published in newspapers of that period. But I really wanted to track down the primary sources, if I could. And having worked with the papers, the collection of the ACS for years, I had come to know that there were three lawyers to whom legal issues were referred by the society. And one of them was Francis Scoot Key. His papers were in MD, and I was living in MD at the time. So I had access. I went through his legal papers but I didn’t find the purchase agreement. There was a second person and he somewhat faded into obscurity. His papers didn’t seem to have been preserved. And the third lawyer was Elias Caldwell who served as the secretary of the society. But it was a voluntary position and it was part-time. His main position was as clerk to the Supreme Court. And he worked with justice Bushrod Washington who was head of the ACS. I went looking for papers of Elias Caldwell and I found that some of his papers were in a collection of Bushrod Washingtons! And it turned out that apparently, he died with some ACS papers in his office at the Supreme Court. They ended up being housed with Bushrod Washingtons papers and the purchase agreement was in it – and the next day I wake up and I wonder is it still true??”
Übersetzer 2
„Weil ich jahrelang mit der Sammlung der ACS gearbeitet hatte, wusste ich, dass die ACS drei Anwälte beschäftigt hatte. Einer hieß Elias Caldwell, er war Hauptberuf Gerichtsschreiber am Obersten Gerichtshof. Und als er starb, verblieben einige ACS-Akten in seinem Büro am Obersten Gerichtshof. Am Ende fand ich sie unter Bushrod Washingtons Papieren. Und – da war er: Der Kaufvertrag!! Am nächsten Tag wache ich auf und frage mich, ob ich das nicht alles geträumt habe!“
SPRECHERIN
Exakt 200 Jahre nach der Ankunft der ersten Siedler in Westafrika entdeckt er die Nadel im Heuhaufen – das Dokument, das die Geschehnisse von 1822 plötzlich ein einem völlig anderen Licht dastehen lässt:
O-TON Burrowes
“What unfolded was a series of conferences over several days, about a week. And a number of issues were being discussed: Why do you want this land? How will it benefit us? We want schools, we want our kids to be exposed to the workings of the Western world or the global economy. // But a critical moment came when two people showed up that were living in Freetown. One worked on a slave ship and the other was himself a slave catcher in Sollar(?). And they both came to press on the local rulers that had assembled that they were not to sell this land because if they did, the Americans were abolitionists and they would interfere with their trade. So, the first person, from the slave ship, explained his story: he said Lieutenant Robert Stockton who represented the US Navy had fired on his ship without provocation and then the next speaker, the slave trader began his denunciation of the abolitionist etc. It was at that point that Stockton who had two pistols hidden in his pants, in the back, he carried the pistols for duelling purposes and he had participated in duels before, he pulled out these pistols – none of the other Americans were armed, they had deliberately come on land unarmed to portray a sense of being pacifist – but him being a military person, he had kept his arms. So, he pulled out the pistols and he threw one to Ayres and says: If the slave seller continues to speak, shoot him! Because I need to talk, I want to present myself. And he held the other pistol at the chiefs, the local rulers, and he explained his side: The slave ship had fired on him and he returned fire. He said he wasn’t allowed to interfere with slavers unless they were Americans and that ship was not.”
Übersetzer 2
„Die Amerikaner und die Einheimischen treffen sich über mehrere Tage hinweg, etwa eine Woche. Sie diskutieren eine Reihe von Fragen: Warum wollt Ihr dieses Land? Welchen Nutzen haben wir von dem Verkauf? Wir wollen Schulen, wir wollen, dass unsere Kinder lernen, wie die westliche Welt und die globale Wirtschaft funktionieren. Kritisch wird es plötzlich, als zwei Leute aus Freetown auftauchen. Einer arbeitet auf einem Sklavenschiff und der andere als Sklavenfänger. Die beiden wollen verhindern, dass die einheimischen Führer ihr Land verkaufen, weil sie befürchten, dass die Amerikaner als Sklavereigegner ihren Handel stören. Der Händler vom Sklavenschiff behauptet nun, Lieutenant Robert Stockton von der US-Marine, habe ohne Provokation sein Schiff beschossen. Um sich friedfertig zu zeigen, war die amerikanische Delegation unbewaffnet zu dem Treffen gekommen. Nur Stockton trägt für Duellzwecke immer zwei Pistolen bei sich. Er zieht also die beiden Pistolen und sagt: „Wenn der Sklavenhändler weiterspricht, erschieße ich ihn! Ich will, dass Ihr mich anhört.“ Er richtet die andere Pistole auf die Häuptlinge und erzählt seine Version der Geschehnisse: Das Sklavenschiff habe auf ihn geschossen und er habe das Feuer nur erwidert. Und er beteuert, dass er sich gar nicht in den Sklavenhandel einmischen darf, es sei denn, es geht um ein amerikanisches Schiff.“
SPRECHERIN
Die Verhandlungen enden kurz darauf. Die Stammesführer kündigen an, dass sie den Amerikanern am kommenden Tag ihre Entscheidung mitteilen werden. Und tatsächlich: Am folgenden Morgen stimmen sie dem Verkauf zu.
O-TON Burrowes
“So, the image that has developed over time, of people signing a contract a with the pistol to their heads was not really accurate. To characterize the sale as being done under duress, when… - the signing took place a day later – it’s problematic to me, it is inaccurate. Furthermore, writing history it is important to look at the context. What preceded and what follows. And really what follows the sale of Cape Mesurado are a series of other sales, other tracks of land. And they were sold by five of the six who signed the original contract. So, again this suggests that there was an ongoing understanding and agreement and relationship between local rulers and the Americans who had come to this area.”
Übersetzer 2
„Es stimmt also nicht, was jahrelang als historische Tatsache hingestellt wurde. Den Verkauf als Zwangsverkauf zu charakterisieren, wenn die Unterzeichnung einen Tag später stattfand, ist unlogisch. In der Geschichtswissenschaft ist es wichtig, auf den Kontext zu achten: Was auf den Verkauf von Cape Mesurado folgt, ist nämlich der Verkauf von anderen Grundstücken. Und die wurden von fünf der sechs Einheimischen verkauft, die den ursprünglichen Vertrag unterzeichnet hatten. Auch das deutet darauf hin, dass es ein gutes Einvernehmen gab zwischen den lokalen Herrschern und den Amerikanern.“
SPRECHER
Das Land am Kap Mesurado nennen sie Liberia, das Land für freie Schwarze. Die Hauptstadt erhält den Namen des amtierenden amerikanischen Präsidenten James Monroe. Sie heißt: Monrovia.
MUSIK
SPRECHERIN
Gleichzeitig rekrutiert die ACS in den Vereinigten Staaten unermüdlich weiter. Sie holt sogar ein paar Auswanderer zurück, damit sie für Liberia werben.
SPRECHER
Manche Weiße lassen einzelne ihrer Sklaven ziehen. Die Sklavenhalter, sagt Eric Burin, haben dabei unterschiedliche Motive.
O-TON
“One thing worthwhile considering is why people liberate persons. Sometimes they do it out of a sense of guilt, sometimes they have perhaps a special relationship like a familial relationship with an enslaved person. But liberating slaves could also be a way of eliciting dutifulness or obedience from enslaved workers, right? You dangle the carrot of freedom in front of some enslaved workers in the hope that they will do what you ask them to do.”
Übersetzer 1
„Einige tun das aus Schuldgefühlen, andere wollen nicht, dass ihre eigenen, illegitimen Kinder in Gefangenschaft aufwachsen. Aber die Befreiung einzelner Sklaven ist auch eine Methode, um andere Sklaven gefügig zu machen. Sie halten die Karotte der Freiheit vor sie hin, in der Hoffnung, dass die dann weiter das tun, was von ihnen verlangt wird.“
SPRECHERIN
Gleichzeitig bangen viele Weiße um ihre Existenzgrundlage. Was passiert mit ihren Plantagen und in ihren Haushalten, wenn die Arbeitskräfte nicht mehr parieren oder gar nicht mehr verfügbar sind?
Was weitere Unruhe schafft: Sobald Nachbarn einzelne Sklaven freilassen, wirkt sich das auf die ganze Community aus. Historische Quellen zeigen: Die Freigelassen wollen nicht allein auswandern, sie bestehen darauf, ihre Familien mitzunehmen. Häufig aber leben andere Familienmitglieder – weil sie weiterverkauft wurden – in anderen Haushalten, bei anderen Sklavenhaltern.
SPRECHER
Auch hier zeigt sich, was Burrowes bereits über den Land-Deal in Westafrika gesagt hat: Die schwarze Bevölkerung – ob versklavt oder frei – ist jederzeit aktiv beteiligt und nutzt ganz bewusst ihre Ressourcen. Marie Stango kann das aus ihrer Forschung bestätigen.
O-Ton Stango
“Liberia, in the early years suffers from famine, these settlers suffer from Malaria, Yellow Fewer, and really many of them are incredibly poor. Because they have been enslaved people in the US, they didn’t have capital or wealth before migrating. So they are really invested in maintaining some of these networks. In some cases as trading partners. So Lott Carry does this with some VA tobacco merchants. He has a business where he is trading tobacco with them. And then for people like the Skipwiths from VA: they are asking for material supplies and food, because their lives are so precarious in Liberia. “
Übersetzerin
„Viele Siedler hatten vor der Migration kein Vermögen. Sie halten deshalb frühere Netzwerke aufrecht – das sehe ich in entsprechenden Briefen in den Archiven. Manchmal werden sie sogar Handelspartner. Der Siedler und Tabakfabrikant Lott Carry handelt mit Tabakunternehmern in Virginia. Und dann gibt es Menschen wie die Familie Skipwith aus Virginia: Sie bittet ihre ehemaligen Sklavenhalter um materielle Versorgung und Lebensmittel, weil ihr Leben in Liberia so prekär ist.“
MUSIK
SPRECHERIN
Und dann passiert trotz der Existenznöte in den Anfangszeiten der Kolonialisierung etwas Erstaunliches: Die Siedler, die ab 1822 ans Kap Mesurado kommen, bringen das amerikanische Gesellschaftsmodell mit nach Afrika. Nur, dass die amerikanischen Schwarzen dieses Mal nicht am unteren Ende der Gesellschaft stehen, sondern oben.
SPRECHER
Alte Fotos zeigen amerikanische Siedler in westlicher Kleidung, ihre Haut deutlich heller als die der Einheimischen. Die Ironie dabei: Eben diese helle Hautfarbe ist ein körperlicher Beleg für die Gewalt, die Sklaven in den USA erlitten haben. Sklavinnen wurden von ihren Eigentümern so regelmäßig vergewaltigt, dass die Sklavenpopulation mit der Zeit immer hellhäutiger wurde. Und jetzt beanspruchen diejenigen, die in der Heimat aufgrund ihrer Hautfarbe diskriminiert und ausgebeutet wurden, wegen ihrer helleren Hautfarbe in Afrika einen höheren gesellschaftlichen Status? Für die ACS sind diese Entwicklungen unwichtig.
O-TON CMT
„Natürlich war Colorism Teil dieser gesellschaftlichen Schichtungen, aber schnell danach sind wirtschaftliche Unterschiede fast wichtiger geworden. Es gab Leute, die mit Geld angekommen sind und es gab andere, die sich sofort Arbeit suchen mussten.“
O-TON Burrowes
“I am very familiar with this narrative where African Americans returned and they constructed a society very much like the one they had left behind in the US. They had dominated indigenous groups etc. etc., but I would say to you that this version of Liberian history emerged in the 1950s, 1960s and now it is entrenched. The idea that the Civil War which took place in the 1990s, early 2000s can be explained by the founding of Liberia for me its problematic. Because it means that you jump over all of the proximal causes, events that are more closely related, that occurred shortly before the Civil War, 5, 10, 20 years before, and you go back 200 years to say: This is why there was a war! Who does that? How can you use history in such a way! It is to me unacceptable. But it has become common. It is a lazy way of understanding the Liberian condition! It’s linked to a refusal to critique the behaviour of people who are living today, people who are architects of the war! “So it’s not our fault, it’s people 200 years ago who caused us to do this”… Doesn’t make sense to me.“
Übersetzer 2
„Ich kenne dieses Narrativ sehr gut, in dem Afroamerikaner zurückkehrten und eine Gesellschaft aufbauten, die der in den USA zurückgelassenen sehr ähnlich war und dann die indigenen Gruppen unterdrückt haben. Aber diese Version der liberianischen Geschichte tauchte erst in den 1950er und 60er Jahren auf und hat bis heute feste Wurzeln geschlagen. Die Idee, dass der Bürgerkrieg, der in den 1990er, frühen 2000er Jahren stattfand, durch die Gründerzeit Liberias erklärt werden kann, ist für mich problematisch. Denn das bedeutet, dass man über alle anderen Ursachen hinwegsieht, über Ereignisse kurz vor dem Bürgerkrieg – fünf, zehn, 20 Jahre davor – und die viel mehr damit zu tun haben! Stattdessen geht man 200 Jahre zurück und argumentiert: „Deshalb gibt es heute Krieg!“. Das ergibt für mich keinen Sinn.“
SPRECHERIN
Spätestens ein Jahrzehnt nach der Atlantiküberquerung der Elizabeth wird den Männern von der ACS klar, dass sie weitere Auswanderer nur dann gewinnen können, wenn sie einen neuen Staat gründen – unter schwarzer Führung.
SPRECHER
1847, also 24 Jahre nach der Gründung der Kolonie ist es tatsächlich soweit: Liberia erlangt die Unabhängigkeit – mit einer Verfassung nach amerikanischem Vorbild.
MUSIK
SPRECHERIN
Nach der Staatsgründung kommen immer mehr Immigranten aus Amerika und der Karibik an – am Ende sind es allerdings insgesamt nur 17.000. Und damit hat die American Colonization Society ihr ursprüngliches Ziel – ein Amerika ohne Schwarze zu schaffen – gründlich verfehlt.
SPRECHER
Die erfolgreiche Ansiedlung von schwarzen Amerikanern in Westafrika dagegen, ist ihr gelungen.
MUSIK
SPRECHERIN
Ein freies Land unter schwarzer Führung – eine schwarze Nation: Wie ein Leuchtfeuer strahlt diese Errungenschaft jetzt in andere Länder aus. Liberia ist die erste Republik in Afrika und – nach Haiti – erst die zweite schwarze Republik weltweit.
SPRECHER
In einer Zeit, in der sich europäische Länder in Afrika einen Wettlauf liefern, um den Kontinent in Kolonien aufzuteilen und auszubeuten! Wie auch immer diese Diskussion ausgeht – eins ist klar: Nach Burrowes Archivfunden, muss sich die Geschichtsschreibung in Liberia jetzt neu sortieren.
O-TON Burrowes
“I’m not sure but I am optimistic that a more professional telling of the story, a more disciplined telling of the story will emerge. Of the Liberian story that is, very generally speaking. I am optimistic that we will see a shift in the paradigm.”
Übersetzer 2
„Ich bin mir nicht sicher, aber ich bin optimistisch, dass sich ein professionellerer, ein disziplinierterer Umgang mit der liberianischen Geschichte durchsetzen wird. Ich bin zuversichtlich, dass wir bald einen Paradigmenwechsel erleben.“
MUSIK
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